Freitag, 27. August 2010

Monsun

Plötzlich fallen mitten aus dem Blauschwarz der Nacht große Wassertropfen auf seine Hände, die immer noch die Kamera halten. Er blickt zum Himmel und beeilt sich, die Kamera in die vorgesehene Tasche zu stecken und ich tue es ihm gleich. Und da prasseln die Tropfen auch schon auf uns hernieder, auf unsere Haut, unser Haar und eine dampfige Hitze steigt vom Boden auf. Wir springen von unseren kleinen Plastikhockern auf und auch alle anderen um uns kommen in Bewegung, laufen, schimpfen. Blitzschnell, noch bevor wir irgendwie reagieren können, springen diese kleinen, sehr behänden Menschen in den engen Schankraum, wo die Bierfässer lagern, sogar aus der Garküche nebenan kommen sie mit ihren Tellern zeternd herbeigerannt und wir schließen uns ihnen an. Wenige Minuten später stehen alle in dem dunklen Raum um die Bierfässer herum.

Der Wirt beeilt sich, seidenbespannte, verblichen gelbe und grüne Lampions anzuzünden und draußen rauscht der Regen in Strömen herunter. Ein paar Mopeds zischen über das feuchte Pflaster und ziehen ihre roten Lichter in Schlieren hinter sich her. Der Boden dampft und die Feuchtigkeit zieht zu uns herein. Die Vietnamesen sind die Einzigen, deren schwarzes, glattes Haar unverändert in Form bleibt. Wir Touristen sehen in Kürze aus, wie Schafe mit nassem Fell, leichter oder stärker gekräuselt, je nach Veranlagung. Sogar mein glattes, blondes Haar, das sonst jede Rundung verweigert, dreht und wellt sich irgendwie nach außen. Das kräftige, graue Haar meines Begleiters kringelt sich am Scheitel und an den Schläfen. Die Feuchtigkeit steht ihm glänzend auf Wangenknochen und Nasenspitze, er lächelt, zeigt auf mein Haar und sagt, wir Weißen geraten bedauernswert aus der Form bei dem Wetter. Wir lachen und bestellen noch ein Bier. Selten, dass es im März schon so runterkommt, meint er, aber hier oben im Norden regnet es relativ oft.

Die Vietnamesen scheinen über das Wetter zu schimpfen. Sie schnattern aufgeregt und schauen unentwegt nach draußen, wo sich schon ein Bach die Straße hinunterstürzt und mit sich gelbe Mangos und rote Litschis führt, grüne Plastiktüten und schillernde Fische. Die meisten Händler haben schnell eine Plane über ihre Waren gezogen und irgendwo Unterschlupf gesucht. Nur eine kleine Fischhändlerin sitzt wie unberührt inmitten ihrer Schüsseln und Bottiche, in denen alle Arten von Aalen und Barschen zappeln. Ihr melancholischer Blick geht nirgendwohin und es scheint, als habe sie sich gegen alle Unbilden der Welt immunisiert. Über ihr fällt wie ein silberner Vorhang der Regen herunter, macht die Konturen weich und lässt diese ganze Szenerie schön erscheinen und unwirklich - wie mit Wasserfarben gemalt.

Fischmaedchen

Und so, als trenne jemand diesen silbernen Vorhang aus Wasser mit dem Hieb eines scharfen Messers in der Mitte durch, hört das Rauschen auch wieder auf, reißen die Tropfen ab. Nur die Mopeds zischen noch durch die Pfützen. Als erster tritt der Wirt vor die Tür, prüft mit der ausgestreckten, flachen Hand, ob es vorbei ist, nickt und wieder setzen sich alle in Bewegung - nach draußen.

Die Luft steht nicht mehr, ein Hauch Frische weht über dem dichten Häusergewimmel der Altstadt. Die Leute wischen die Plastikhöckerchen ab und nehmen wieder Platz. Einige gehen ihrer Wege. Wir sollten auch besser gehen, sagt mein Begleiter. Nicht, dass wir noch ganz nass werden. Und außerdem fahre ich morgen ganz früh aus der Stadt. Ja, bei mir geht es auch um sieben los, sage ich. In die Ha Long Bucht. In diesem schmalen Land scheinen alle dieselben Wege zu haben, sagt er und lächelt vielsagend. Ob er auch in die berühmte Bucht fährt? Ich verkneife mir die Frage, will diesem Moment den Zauber des Unbestimmten nicht nehmen. Wo gehen sie lang? fragt er. Mein Hotel ist gleich da vorne, sage ich und wir laufen schon darauf zu. Vor dem Hotel geben wir uns die Hand. Also, vielleicht bis morgen, sagt er oder bis in ein paar Tagen. Ich schüttele den Kopf über soviel Zuversicht und drücke die Glastür zu meinem Hotel auf.

Sotto Voce

Webteppich aus Worten und Bildern

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

Vergessene Stadtvillen,...
Ich lasse die Zwiebelkuppel und das schlanke, weiße...
Ingrid Walter - 4. Oktober, 21:02
Bahnhof, Balkangrill...
Und da wandere ich wieder. Im Buchrainweg geht es los,...
Ingrid Walter - 16. August, 10:31
Ausblicke-Einblicke -...
Wenn man reinkommt, fängt das große auf Leinwand gezogene...
Ingrid Walter - 21. Juli, 16:51
Pause nach dem Weg über...
Hier sitze ich also heute nach einem ebenso anregenden...
Ingrid Walter - 14. Juli, 20:17
Ein Tag mit der besten...
Ein Samstag in Aschaffenburg bei meiner Freundin kommt...
Ingrid Walter - 13. Juli, 20:37

Links

Suche

 

Status

Online seit 5659 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 4. Oktober, 21:05

Credits


Arbeitsjournal
Gartenlaube
Kaffeehaus
Kunst
Kurzgeschichten
Roman im Entstehen
Selbstporträt
Streifzüge
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren