Roman im Entstehen

Freitag, 24. September 2010

Überfahrt

An der Kante zu dieser Wasserwelt werden alle ausgespuckt. Aus modernen und abgewrackten Reisebussen, aus kleinen Transportern, aus verwaschen türkisfarbenen Taxis, aus den Beiwagen zerbeulter Mopeds. Unzählige Menschen warten in säuberlich abgeteilten Einzelhäufchen auf ihr Boot, das Zubringerboot zu den berühmten Dschunken mit den rostroten Segeln. Inmitten von Souvenirständen mit Reisstrohhüten und Sonnenbrillen warten sie alle darauf, die Einsamkeit und den Zauber einer unberührten Inselwelt zu erleben. So wie ich auch. Mein eigenes Ansinnen kommt mir seltsam vor, inmitten der vielen Menschen. Und dennoch - dennoch scheint dort hinten im Meer, im milchiggrünen Licht des Nachmittags, etwas auf mich zu warten. Vielleicht nur eine Vorstellung oder eine Traumwelt, aber eine, in die ich wirklich und wahrhaftig eintauchen kann.

Ich stehe bei den drei Holländerinnen. Wir sehen zu den Dschunken hinüber, raten, welche die unsere ist. Sie gestikulieren und lachen, scheinen freudig und aufgeregt. Ganz das Gegenteil die beiden Deutschen. Er doziert ohne Unterlass über die Länge und Breite des Bootes, über Windstärken und die Tiefe des Meeres. Sie blickt an ihm vorbei und lächelt mir leise zu.

Unser junger Guide bedeutet uns, dass wir beisammen bleiben sollen und wendet sich der Anlegestelle zu. Dort im Wasser warten in einer Reihe die Langboote, die uns zu den Dschunken bringen werden. Er redet mit einem der Ruderer, der ein pinkfarbenes Tuch um den Kopf geschlungen trägt. Sie nicken und winken uns, dass wir näher kommen sollen. Das scheint also unser Zubringer zu sein. Wir nehmen unsere Taschen und gehen ans Wasser. Der Guide hilft uns über einen aus alten Latten zusammengezimmerten Holzsteg aufs Boot. Das deutsche Paar nimmt vorne rechts Platz. Ich folge den Holländerinnen nach hinten. Wir grüßen nach rechts und links. Außer uns scheinen nur Pärchen unterwegs.

In der allerletzten Reihe sitzt ein Mann oder er liegt vielmehr, die langen Beine nach vorne weg gestreckt. Er scheint schon länger zu warten und hat gegen die Sonne seinen hellen Reisstrohhut über das Gesicht gezogen. Ich setze mich neben die dunkelhaarige Holländerin, die mir erzählt, dass sie den beiden anderen erst auf dieser Reise begegnet ist.

Wir legen ab und unser Boot gleitet durch den milchiggrünen Nebel, wie durch einen Vorhang. Das Stimmengewirr, das Geknatter, das Geplauder verebbt und dann ist nur noch das plätschernde Eintauchen des langen Ruders zu hören. Wir steuern auf die Dschunke ganz links zu. Sie hat die Segel oben und bewegt sich sanft mit dem Wasser auf und ab. Sie sehen alle gleich aus, gleich schön, variieren nur in der Farbe des Holzes und tragen unterschiedliche Namen. Unsere heißt: Huong Hai Junk.

Huong-Hai-Junk

Das Boot steht und unser Guide steigt über das Vorderdeck auf die Dschunke, um uns hinüber zu helfen. Nun bin ich an der Reihe. Ich reiche dem Guide die Hand, blicke zu ihm und dann noch einmal zurück aufs Boot. Der Mann mit dem Reisstrohhut hat sich als letzter erhoben. Er lächelt mir zu, mit schelmischen, wissenden Augen, nickt leise, wie zum Zeichen, dass ich gehen soll und ich betrete die Dschunke.

Freitag, 10. September 2010

Sehnsuchtslandschaft

Es ist sieben Uhr morgens und ich warte im Foyer auf meine Abholung zur Halong Bucht. Draußen hält ein Kleinbus. Und tatsächlich, ein junger, schmaler Mann kommt herein und spricht mich an, wohl weil ich die einzige Weiße bin. Im Auto sitzen schon ein Pärchen aus Heidelberg und drei Holländerinnen. Zwei sind blond und lederhäutig, die Dritte ist dunkelhaarig und hübsch. Ich grüße und nehme vorne neben dem jungen, schmalen Guide Platz, empfange ein duldsames Lächeln aus sanften, braunen Augen. Wie oft er wohl diese Tour im Jahr macht.

Wir winden uns langsam aus der Altstadt heraus, die Straßen werden gerader und breiter, die Häuser weniger. Aber irgendwie scheint es, als würden wir die Vorstädte Hanois nie so richtig verlassen. Es geht immer weiter durch zersiedelte Gegenden, vorbei an Baustellen und Reisfeldern, vorbei an neochinesischen bunten Häusern auf kleinen Hügeln. Es ist trostlos hier oder sogar hässlich. Irgendwann muss hier einmal Dschungel gewesen sein, undurchdringliches Grün. Jetzt sitzen Menschen zwischen den Schutthalden, wie eh und je in der Hocke, auf dem Kopf spitze Strohhüte und versuchen ihren Reis anzubauen.

Ich kann nicht glauben, dass dieser Weg zu einer der schönsten Landschaften der Welt führt, einer Fels- und Wasserlandschaft, die man aus zig Filmen kennt, die zu einer Sehnsuchtslandschaft für alle geworden ist. Wir halten für einen Toilettengang an einer Werkstätte für Behinderte - es gibt immer noch Opfer des Krieges, verstümmelt vom Gift.

Nach weiteren zwei Stunden durch diese gezeichnete Landschaft kommen wir an die Küste. Von hier aus sieht man sie schemenhaft im Nebel liegen, die Zauberlandschaft der Halong Bucht. Spitze, grün bewachsene Felsen in den seltsamsten Formen - hunderte dieser Inselchen schwimmen im blaugrünen Meer.
Halong-Bucht

Freitag, 27. August 2010

Monsun

Plötzlich fallen mitten aus dem Blauschwarz der Nacht große Wassertropfen auf seine Hände, die immer noch die Kamera halten. Er blickt zum Himmel und beeilt sich, die Kamera in die vorgesehene Tasche zu stecken und ich tue es ihm gleich. Und da prasseln die Tropfen auch schon auf uns hernieder, auf unsere Haut, unser Haar und eine dampfige Hitze steigt vom Boden auf. Wir springen von unseren kleinen Plastikhockern auf und auch alle anderen um uns kommen in Bewegung, laufen, schimpfen. Blitzschnell, noch bevor wir irgendwie reagieren können, springen diese kleinen, sehr behänden Menschen in den engen Schankraum, wo die Bierfässer lagern, sogar aus der Garküche nebenan kommen sie mit ihren Tellern zeternd herbeigerannt und wir schließen uns ihnen an. Wenige Minuten später stehen alle in dem dunklen Raum um die Bierfässer herum.

Der Wirt beeilt sich, seidenbespannte, verblichen gelbe und grüne Lampions anzuzünden und draußen rauscht der Regen in Strömen herunter. Ein paar Mopeds zischen über das feuchte Pflaster und ziehen ihre roten Lichter in Schlieren hinter sich her. Der Boden dampft und die Feuchtigkeit zieht zu uns herein. Die Vietnamesen sind die Einzigen, deren schwarzes, glattes Haar unverändert in Form bleibt. Wir Touristen sehen in Kürze aus, wie Schafe mit nassem Fell, leichter oder stärker gekräuselt, je nach Veranlagung. Sogar mein glattes, blondes Haar, das sonst jede Rundung verweigert, dreht und wellt sich irgendwie nach außen. Das kräftige, graue Haar meines Begleiters kringelt sich am Scheitel und an den Schläfen. Die Feuchtigkeit steht ihm glänzend auf Wangenknochen und Nasenspitze, er lächelt, zeigt auf mein Haar und sagt, wir Weißen geraten bedauernswert aus der Form bei dem Wetter. Wir lachen und bestellen noch ein Bier. Selten, dass es im März schon so runterkommt, meint er, aber hier oben im Norden regnet es relativ oft.

Die Vietnamesen scheinen über das Wetter zu schimpfen. Sie schnattern aufgeregt und schauen unentwegt nach draußen, wo sich schon ein Bach die Straße hinunterstürzt und mit sich gelbe Mangos und rote Litschis führt, grüne Plastiktüten und schillernde Fische. Die meisten Händler haben schnell eine Plane über ihre Waren gezogen und irgendwo Unterschlupf gesucht. Nur eine kleine Fischhändlerin sitzt wie unberührt inmitten ihrer Schüsseln und Bottiche, in denen alle Arten von Aalen und Barschen zappeln. Ihr melancholischer Blick geht nirgendwohin und es scheint, als habe sie sich gegen alle Unbilden der Welt immunisiert. Über ihr fällt wie ein silberner Vorhang der Regen herunter, macht die Konturen weich und lässt diese ganze Szenerie schön erscheinen und unwirklich - wie mit Wasserfarben gemalt.

Fischmaedchen

Und so, als trenne jemand diesen silbernen Vorhang aus Wasser mit dem Hieb eines scharfen Messers in der Mitte durch, hört das Rauschen auch wieder auf, reißen die Tropfen ab. Nur die Mopeds zischen noch durch die Pfützen. Als erster tritt der Wirt vor die Tür, prüft mit der ausgestreckten, flachen Hand, ob es vorbei ist, nickt und wieder setzen sich alle in Bewegung - nach draußen.

Die Luft steht nicht mehr, ein Hauch Frische weht über dem dichten Häusergewimmel der Altstadt. Die Leute wischen die Plastikhöckerchen ab und nehmen wieder Platz. Einige gehen ihrer Wege. Wir sollten auch besser gehen, sagt mein Begleiter. Nicht, dass wir noch ganz nass werden. Und außerdem fahre ich morgen ganz früh aus der Stadt. Ja, bei mir geht es auch um sieben los, sage ich. In die Ha Long Bucht. In diesem schmalen Land scheinen alle dieselben Wege zu haben, sagt er und lächelt vielsagend. Ob er auch in die berühmte Bucht fährt? Ich verkneife mir die Frage, will diesem Moment den Zauber des Unbestimmten nicht nehmen. Wo gehen sie lang? fragt er. Mein Hotel ist gleich da vorne, sage ich und wir laufen schon darauf zu. Vor dem Hotel geben wir uns die Hand. Also, vielleicht bis morgen, sagt er oder bis in ein paar Tagen. Ich schüttele den Kopf über soviel Zuversicht und drücke die Glastür zu meinem Hotel auf.

Freitag, 23. Juli 2010

So anders als die Wirklichkeit

Es ist Abend und ich streife wieder durch die Altstadt. Heute möchte ich mich zum ersten Mal in eine der kleinen Bierbars mit den roten Plastik Hockerchen trauen. Eigentlich stehen die Hockerchen vor den Bars auf dem Bürgersteig, wo sich eben alles abspielt. Im Innenraum der Bars, meist schwarzen Löchern, befinden sich nur die glänzenden Bierfässer. Selbst die Gaskocher, um ein paar Kleinigkeiten zuzubereiten, werden auf dem Bürgersteig betrieben.
Hanoi-Bia-Bar

Die kleinen roten Plastikhocker sind begehrt und ich finde nur noch einen einzigen freien Platz neben einem hochgewachsenen Mann, der seine langen Beine etwas steif zu einem eckigen Yogasitz verschlungen hat. Er schaut gar nicht hoch, sondern nur auf die Fotos in seiner Digitalkamera. Mir ist das im ersten Augenblick nur recht und ich ziehe mein Notizbuch aus der Tasche. Er sieht seine Fotos an und ich schreibe ein paar Eindrücke auf, aber nach einer Weile beschreibe ich ihn und die Erinnerung durchfährt mich wie ein kleiner Blitzschlag, lässt meine Haarwurzeln beben. Er ist der Mann vom ersten Abend. Wieder überlege ich, wo ich ihn schon gesehen habe. Der Platz ist eng bemessen und ich kann gar nicht anders, als seine Fotos mitanzusehen, die sehr bemerkenswert sind. Eine junge Vietnamesin im Businesskostüm vor einem Tempel, ein junger Vietnamese mit Besen am Ausgang des Flughafens - die Gesichter offen und wach, die Augen leuchtend. Ich frage mich, ob er vietnamesische Freunde hat. Irgendwann fängt er meinen Blick auf, ernst, fast wild, mit Augen so zwischen Grau und Blau, wie das Meer an einem stürmischen Tag. Ich zucke zusammen, denn im gleichen Augenblick fällt mir auch ein, wo ich ihn schon gesehen habe. In Frankfurt - auf dem vietnamesischen Konsulat.

Gefallen sie ihnen? fragt er und ich nicke verlegen, denn er musste etwas gelesen haben, von meinem Geschriebenen, sonst hätte er mich wohl nicht auf Deutsch angesprochen, so ganz, ohne zu zögern. Aber er scheint sich gar nichts zu denken bei alldem, sondern erzählt mir, wie die Bilder entstanden sind. Erst war es ein Versehen, sagt er. Ich wollte einfach den ersten Blick auf dieses Land festhalten. Das war am Ausgang des Flughafengebäudes. Da stand dieser junge Mann mit dem Besen und kehrte vor den Mülleimern den Dreck weg. Es war mir peinlich und ihm auch, er hatte sofort die Augen niedergeschlagen. Da sprach ich ihn an, um ihm seine Verlegenheit zu nehmen und fragte ihn, ob ich von ihm ein Foto machen dürfte. Er lächelte mich an und sagte ja. Erst wollte er den Besen zur Seite stellen, aber ich sagte nein, er solle genauso aussehen wie immer. Daraufhin stellte er sich mit dem Besen auf und ich machte das erste Bild. Und dann fragte ich immer mehr Leute.

Es sind sehr schöne Bilder, sagte ich. Die Leute sehen irgendwie stolz aus. Ja, sagte der Mann mit den meergrauen Augen. Was werden sie damit machen? fragte ich ihn. Ich weiß noch nicht. Vielleicht eine kleine Ausstellung - nur für Freunde, bei mir im Haus. Eine schöne Idee, sage ich und lächle zum ersten Mal. Und sie schreiben, sagt er und macht eine Bewegung mit dem Kinn zu meinem Heft hin. Ach, nur ein paar Notizen, sage ich. Bilder sehen immer so anders aus als die Wirklichkeit.

Freitag, 2. Juli 2010

Liebe, Gesundheit und die ganze Welt sehen

Ich wache auf mit dem Gedanken an diesen hochgewachsenen Fremden, der mir abends im Restaurant gegenüber gesessen hatte. Irgendwo hatte ich ihn schon mal gesehen. Oder erinnerte er mich nur an irgend jemanden? Am Fenster bietet sich mir ein ähnliches Bild, wie bei meiner Ankunft: die Luft ist gelb und regenschwer. Als habe die Stadt ihre Faszination nach einem nächtlichen Spuk verloren.

Das kleine Frühstücksbuffet empfängt mich in einem ausgeräuberten Zustand. Die meisten anderen Gäste sind wohl schon in aller Frühe hier durchgeeilt. Hanoi scheint eine Durchgangsstation, auf dem Weg in den grünen Norden, nach Sa Pa oder in die Ha Long Bucht. Ich nehme mir die restlichen zwei Scheiben Toast mit der unvermeidlichen Orangenmarmelade. Über den Tag würde ich sicher irgendwo eine dieser wunderbaren Reisnudelsuppen bekommen.

Es hilft nichts, draußen ist es mit gefühlten fünfzehn Grad eher kühl und meine an den Ellenbogen schon fadenscheinige Jeansjacke muss wieder herhalten. Eigentlich hatte ich gehofft, diesem langen deutschen Winter ein Schnippchen zu schlagen. Eine naive Hoffnung, denn Hanoi ist nicht tropisch, sondern subtropisch und damit eher kühl. Ich laufe also vage Richtung Hoan-Kiem-See. Ein Name, der mich immer amüsiert, weil er so nah an dem urbayerischen Hohenchiemsee ist. Dieser Name hier bedeutet allerdings "See des zurückgegebenen Schwertes" und ich hatte ihn gestern auf meinem Heimweg schon gesehen, ruhig und glatt, wie ein schwarzes Seidentuch.

Holzsteg-der-Aufgehenden-SonneIn der Ferne glimmt bereits unwirklich verschwommen eine rote Holzbrücke durch die dampfige Luft und sagt mir, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Ich erreiche eine märchenhafte Szenerie. Die Holzbrücke, ein spielzeugartiger Steg führt zu einem Tempeltor mit leuchtend gelben Drachen und himmelblauen Fischen. Alles trägt sehr poetische Namen. Ich bin über die Brücke der Aufgehenden Sonne gewandelt und befinde mich nun am Jadebergtempel. Ich fühle mich in eine zauberische Welt versetzt. Ein Eindruck der noch durch die Gebetshandlungen der Einheimischen, die große Bündel gelber Räucherstäbchen anzünden, während des Gebetes über ihren Kopf halten, und das Bündel dann in einen riesigen mit Drachen geschmückten Bronzekessel stecken. Von der Decke hängen Räucherspiralen mit gelben Wunschzetteln darin. Einige sind in deutscher Sprache ausgestellt und ich stelle mich unter einen, auf dem steht: Liebe, Gesundheit und die ganze Welt sehen.

Freitag, 25. Juni 2010

Nächtliches Hanoi

Mein Zimmer ist freundlich und bietet Platz. Auch einen kleinen Schreibtisch und Internetanschluss. Nachdem ich ein paar Kleider, die verkrumpeln könnten, aus dem Koffer genommen habe, setze ich mich hin, klappe mein Laptop auf, schreibe eine E-Mail an meine Eltern und versuche, die ersten Eindrücke festzuhalten. Die Zeilen verschwimmen. Eigentlich ist es früher Nachmittag, aber ich weiß nicht genau, was es eigentlich ist. Mein Körper sagt Abend und müde. Ich wage noch einen Blick aus dem Fenster hoch über dem Gewimmel, dann gehorche ich dem Diktat meines Körpers und lege mich aufs Bett. Die Geräusche der Straßen tragen mich davon in einen mühelosen Dämmerschlaf. So halten es wohl die meisten Vietnamesen um diese unbarmherzig milchigschwere Nachmittagszeit.

Als ich erwache, ist es bereits nachtschwarz. Ich schrecke ein wenig hoch, bei dem Gedanken, dass es vielleicht schon zu spät für ein Abendessen sein könnte. Mein iPhone, einzig verlässlicher Zeitmesser, sagt sieben. Das beruhigt mich. Ich nehme im Badezimmer eine Dusche und ziehe meinen lila Rock und ein fliederfarbenes Top an. Das sieht ein bisschen nach Zwanziger Jahre aus, erinnert mich an Marguerite Duras Heldin aus dem "Liebhaber" und ich gefalle mir in dieser, meiner eigenen Vorstellung der Schriftstellerin, auf deren Spuren ich hier wandeln werde. Nicht allein auf den Spuren von Orts- und Straßennamen. Nein, ich hoffe etwas aufzufangen von dem sinnlichen Erlebnis Vietnams.

Ich werfe mein helles Fransenlederbeutelchen um und gleite hinaus in die Nacht. Es fühlt sich wahrhaftig an wie gleiten, denn diese Abendluft scheint dick von Feuchtigkeit und Schwärze, vom Tosen der Mopeds und vom Gleißen der Lichter.

Die Straße sieht anders aus als am Tag, hat sich in ein pulsierendes Marktgeschehen verwandelt. Der Gehsteig ist eine einzige große Ladenfläche voller Sandalen, Ölbilder und perlenbestickten Täschchen, dazwischen immer wieder kleine Schankstuben mit roten Miniplastikhockern, auf denen große Weiße unbequem, aber amüsiert Platz nehmen. Ich lasse mich führen von meinen Augen, starre alles an, staunend über die Buntheit und dieses ganze Durcheinander, das doch irgendeiner fremden Ordnung zu gehorchen scheint. Oft muss ich springen, weil ein Moped vorbeifährt, mich fast berührt oder weghupt.

Nachtmarkt-in-HanoiNach einer Weile entdecke ich einen schönen, hohen Gastraum mit großen Ventilatoren an der Decke und der Aufschrift Câ-phé über der Tür. Ein Treffpunkt für Globetrotter aus aller Welt. Ein wenig touristisch, aber schön. Ich bestelle gedünstetes Rindfleisch mit Reisnudeln und genieße mein erstes vietnamesisches Mahl. Am Tisch gegenüber sortiert ein hochgewachsener Weißer mit dunkelblondem Haar den Koriander aus seiner Frühlingsrolle. Ca-Phe

Freitag, 18. Juni 2010

Alles im Fluss

Die Luft ist voller Tröpfchen, regenschwer. Ich folge meinem Fahrer zu einem mintgrünen Wagen. Mintgrün scheint die Farbe Vietnams, sie taucht immer wieder auf, an Autos, Stoffen und Wänden, wie eine Spiegelung des frischen Grüns der Vegetation. In der Straße der Schuhmacher Wir fahren durch zersiedelte Vorstädte, vorbei an hohen, schmalen Häusern im Neo-Barockstil, pink und mintgrün. Neben uns knattern Mopeds, Mopeds beladen mit Drahtgestellen voller brauner Hühner, voller kleiner Schweine, sie stellen sich tot.

Der Fahrer fährt tief hinein in die Stadt, immer schmaler werden die Straßen, immer schmaler auch die Häuser. Schließlich setzt er mich an einem Eckhaus ab. Das ist mein Hotel für die nächsten Tage. Es steht unerschrocken mitten im Altstadtgewimmel. Es wimmeln Frauen mit Reisstrohhüten, eine Stange über der Schulter und daran Körbe, gefüllt mit dunkelgrünen Orangen, neben Flipflop-Verkäufern - und Mopeds. Ich muss zuerst mal runter vom Bordstein mit meinem Koffer. Alles muss im Fluss bleiben, sonst funktioniert das Gewimmel nicht. Erste Lektion für die wuseligen Innenstädte von Vietnam.

Ich betrete das kleine, gläserne Foyer des Hotels und melde mich am Counter an. Große Freude in den Augen der kleinen, zierlichen Rezeptionistin. Sie nickt bei meinem Namen, nennt mich Frau Ingrid, weil sie glaubt, dass das mein Nachname sei, gibt mir den Schlüssel für mein Zimmer im siebten Stock und weist mir mit dem Kopf den Aufzug. Mein Koffer wandert indessen voraus, auf dem Kopf eines behänden, kleinen Mannes, der flugs die Stufen nimmt und mich als träges, schwerfälliges Wesen stehen lässt. Am Aufzug hängt ein kleines Schild, das auf einen Defekt verweist. Ich blicke zurück zum Counter. Die zierliche Rezeptionistin zuckt die Schultern und lächelt verschmitzt, ja, sie kichert fast bei der Vorstellung, dass ich nun die vielen, steilen Stufen in den siebten Stock nehmen muss, was bestimmt meine sowieso schon rötliche Gesichtsfarbe noch verstärken wird. Ich muss lachen über diese kindliche Schadenfreude und lerne die zweite Lektion für Vietnam: Nimm's mit Humor, wenn die Dinge nicht funktionieren - es könnte schlimmer kommen.

Sonntag, 7. März 2010

Vor der Abreise

Ich sehe mir noch einmal diesen Film an. Der Liebhaber. Um mich einzustimmen - und vielleicht, um etwas über mich selbst zu erfahren. Darüber, was mich so anzieht, an diesem Land Vietnam, an seinen Städten, an Saigon. Ich sehe mir diesen Film an, der ein wenig zu schön ist.

Dennoch sind meine Augen auf der Jagd nach Orten, die ich mir einverleibe, um sie in mir zu haben. Eine alte Brücke, die nach Cholon führt, ins Chinesenviertel. Der Verfall, das Abblättern von Putz, die wuchernden Grünpflanzen - fast scheinen die Gebäude verwachsen mit dem Grün. Eine enge Straße, von baufälligen Häusern gesäumt, mattgelbe Wände, Staub, Menschen, die alles verkaufen, Baumwollhemden und lebende Enten, Bananenstauden und seltsam stachelige, purpurne Früchte, Gestank von gebratenem Fisch und Mopeds, Getöse, Hupen, Entengeschnatter - und diese Hitze über allem, die einem die Schweißperlen auf die Oberlippe treibt. Eine Art Erotik strahlt das aus, bevor noch die Handlung richtig beginnt, eine Art Erotik der Orte.

Es ist eine Szenerie, wie sie es bei uns nicht gibt. Unsere Städte erscheinen aufgeräumt, glatt und sauber - tot vielleicht an manchen kalten, klaren Tagen.

Ist es also das, was mich dorthin zieht? Eine Sehnsucht, mich ins Leben zu stürzen, mit aller Kraft, mit einer gewissen Rücksichtslosigkeit mir selbst gegenüber?

Samstag, 6. März 2010

Womit alles begann

Das vietnamesische Konsulat befindet sich nicht hinter einer dieser schönen Westendfassaden. Ein Bau ohne Schnörkel in fahlem Gelb. Der frisch gefallene Schnee lässt es noch fahler erscheinen. Allein die rote Flagge im Vorhof gibt einen Hinweis auf seinen Zweck.

Das Treppenhaus mit seiner geschwungenen Holztreppe verrät allerdings, dass die Fassade nach dem Krieg nur lieblos hochgezogen wurde, wie so viele in Frankfurt. Ich betrete den Vorraum der Visastelle. Hier diskutieren drei junge Vietnamesen. Alle drei tragen sie dickes, schwarzes Igelhaar, kurze Jacketts und Jeans. Ich wende mich in den linken Raum, wo zwei Schalter sind. Eine junge, zierliche Frau nimmt meinen Abholschein entgegen und verschwindet damit in dem alten Treppenhaus.

Ich stütze meinen Ellbogen auf, bleibe am Schalter stehen. Gerade erst bemerke ich einen hochgewachsenen Mann, mit offenem Blick aus grauen Augen, grau oder blau und dunkelblondem halblangem Haar, leicht schütter auf dem Scheitel. Das übt in Geduld, sagt er zu mir. Meinen Zettel habe ich schon vor zwanzig Minuten abgegeben.

Aha, antworte ich halblaut und stelle mich zu ihm ans Fenster. Wir sehen hinaus. Und die braucht man dort wohl, antworte ich fragend. Er zuckt die Schultern, nickt. Draußen winkt uns eine Frau in rotem Hut und rotem Mantel. Der Mann öffnet das Fenster. Ist das das das bosnische Konsulat, ruft sie. Wir schütteln die Köpfe. Mendelssohnstraße, ruft sie wieder. Wir schütteln die Köpfe. Das ist Siesmayerstraße, antworte ich. Sie müssen auf die andere Seite. Sie nickt, dankt uns und verschwindet.

Der Mann schließt das Fenster. Kurz darauf hören wir wieder Türenschlagen im ersten Stock, Schritte treppab und schließlich kommt die junge Frau und setzt sich wieder an den Schalter. Der Mann und ich gehen nach vorne. Er macht eine Geste, mich vorzulassen und die Vietnamesin händigt mir meinen Reisepass aus. Ich danke und kontrolliere das Visum. Das dritte nun. Weiter vorn sind die Visa für Kambodscha und Indien eingeklebt. Ich kann es kaum fassen, dass diese langersehnte Reise nun unmittelbar vor mir liegt.

Der Mann hat ebenfalls sein Visum erhalten. Wir verlassen gemeinsam das Haus. Was ist ihre erste Station? fragt der Mann. Hanoi, antworte ich. Eine schöne Reise, fügt er hinzu und überholt mich im Gehen. Wenig später ist er nicht mehr zu sehen.

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