Donnerstag, 7. April 2011

Die Unzertrennlichen: Aus der Why-Not-Bar auf Ko Lanta

Kurz vor Frühlingsanfang war ich in der Why-Not-Bar auf Ko Lanta. Sie liegt direkt am Strand in der wunderschönen Kantiang Bay und man sitzt dort auf bunten Matten an niedrigen Holztischchen. Ich nahm also Platz und konnte eine wirklich dramatische Szene zwischen einer Frau und einem Mann beobachten. Die beiden saßen schon in der Bar, als ich kam. Sie aßen ein wunderbar duftendes Phad Thai und schienen sehr vergnügt. Ja, obwohl sie bereits nah der Fünfzig waren, wirkten sie wie frisch verliebt.

Why-Not-Bar-Kantiang

Aber nach einer Weile, als der übliche Regen, der jeden Tag pünktlich um achtzehn Uhr einsetzte, ganz aufgehört hatte und die Tische auf der Terrasse trockengerieben waren, stand der Mann plötzlich auf und setzte sich von seinem niedrigen Tischchen weg, an einen normalen Tisch auf die Terrasse. Er tat das scheinbar ohne ein Wort zu ihr, als sei diese Handlung völlig logisch. Ihr hatte es jedoch in der gemütlichen Bar an den niedrigen Tischchen offensichtlich gut gefallen und sie blieb sitzen.

Er bestellte sich ein Bier und blickte aufs Meer hinaus. Die dunkelgraue Wasseroberfläche kräuselte sich. Es war klar, dass sie sich entzweit hatten. Wenige Worte hatten dazu wohl genügt: "Lass' uns nach draußen gehen!" "Ach, nein, hier ist es so schön. Wir haben schon lange nicht mehr so zusammen gesessen." "Es ist unbequem!" "Immer musst du jeden Moment kaputt machen." Danach war er war er aufgestanden.

Als sie sah, dass er ein Bier trank, nickte sie dem Barmann zu und bestellte sich einen Mai Tai. Sie lächelte, als sie das orangefarbene Getränk mit der Orchideenblüte am Glasrand entgegennahm. In diesem Augenblick wäre sie zu allem fähig gewesen und wenn der Barmann einen Wunsch geäußert hätte, so hätte sie ihm diesen gern erfüllt. Aber, er tat es nicht. Vielleicht aus Anstand, vielleicht aus Schüchternheit.

Die Frau trank langsam ihren Cocktail und schaute nicht hinüber auf die Terrasse und der Mann schaute weiter aufs Meer hinaus, wo nun pupurn die Sonne unterging. Ein Schauspiel, dass sie sich noch gestern gemeinsam angesehen hatten.

Nachdem die Sonne untergegangen war, ging die Frau zu dem Barmann, zahlte und verschwand. Wenig später sah ich sie im Schutz der Dunkelheit auf der Terrasse sitzen - bei ihrem Mann. Ohne ein Wort saßen sie da in der Dunkelheit. Mitgefangen, mitgehangen, dachte ich mit einer Mischung aus Verwunderung und Resignation und dabei fiel mir ein, was Bodo Kirchhoff einmal gesagt hatte: "Paare sind Festungen".

Sunset-Why-Not

Montag, 7. Februar 2011

Wieder so eine Geschichte: Maingold Café Frankfurt

Immer, wenn ich im Maingold bin, muss ich an diesen seltsamen Abend denken, an dem ich einmal mit meinem Freund Dirk hier war. Die intimen Plaudereckchen scheinen solche Erlebnisse geradezu herauszufordern.

Maingold

Dirk und ich sind schon lange befreundet und wir sind beide blond, beide nicht groß, beide eher mit Figur ausgestattet als mit Schlankheit. Im Grunde sind wir uns zu ähnlich. Wahrscheinlich funktioniert unsere Freundschaft deshalb schon so lang. Er steht auf große Dunkelhaarige, genau wie ich.

Genau solch ein Pärchen, scheinbar auch befreundet, saß an jenem Abend mit uns im roten Zimmer, das zur Straße hin blickt. Es war der einzige große Tisch, an dem noch Plätze frei waren und wir fragten, ob wir uns dazusetzen dürften. Sie nickten artig und wandten sich wieder ihrem Gespräch zu. Sie hatte dunkle Locken bis zur Brust und er, naja, er war nicht mehr dunkelhaarig, sondern grau melliert. Sie redeten über das Heiraten. Wobei er eine negative Meinung darüber hatte und so klang, als habe er das alles schon hinter sich, während sie wohl ernsthaft darüber nachdachte und insgeheim schon die Feier plante, ohne dass der Auserwählte davon wusste.

Ich merkte wie Dirk die Frau taxierte. Also, sah ich mir mein Gegenüber auch genauer an. Er hatte schöne graue Augen, mit einem Schimmer ins Blau, wie dunkles Perlmutt. Aber es war ein Hauch von Melancholie darin, den ich mit seiner negativen Haltung zum Heiraten in Verbindung brachte. Als Dirk bemerkte, dass die Frau sich eine Zigarette drehte, fragte er sofort, ob er eine bekommen könnte, er habe schon so lange nicht mehr geraucht. Sie fand das offenbar charmant, lächelte und gab ihm die fertig Gedrehte. Als sie sich ihrerseits noch eine Weitere gedreht hatte, gingen die beiden hinaus und überließen uns unserem Nichtraucherdasein.

Maingold-rot

Und sie? fragte der Grauäugige. Möchten sie auch heiraten? Im Moment nicht, sagte ich und er lächelte. Die Vagheit meiner Antwort schien ihm zu gefallen. Er stellte sich als Theo vor und sagte noch, dass so ein unterschriebenes Stück Papier viel Befangenheit mit sich bringen könnte. Ich stimmte mit einem Nicken zu und die beiden anderen kamen wieder herein.

Wir bestellten Oliven und Käse und unterhielten uns zu viert weiter, tauschten uns über unsere Berufe aus. Theo outete sich als Jazzgitarrist. Dirk hatte schon ziemlich viel Rotwein getrunken, was ihn ermutigte, an der Bar eine Flasche Prosecco zu bestellen, die in einem silbernen Standkühler ankam. Die junge Frau wollte nichts trinken und ließ sich schließlich zu einem Glas zum Anstoßen überreden. Dirk war in Fahrt und schwadronierte über Lady Gaga und den Niedergang der Popmusik. Irgendwie glaubte er immer, dass jeder, den er mochte auch seiner Meinung sein müsste. Aber, die junge Frau wurde im Laufe des Abends immer schweigsamer. Er nötigte ihr schließlich noch eine Zigarette ab und gab ihr draußen auf dem kleinen Sofa vor dem Fenster scheinbar einen Kuss. Jedenfalls waren ihre Köpfe sehr nah beieinander.

Ich unterhielt mich mit Theo auch über Musik. Er komponierte eigene Stücke und schien sensibel zu sein. Ich schämte mich ein wenig für meinen Freund Dirk. Irgendwann kam er wieder herein und verkündete, Nana würde jetzt ihr Auto holen und sie würden gemeinsam nach Oberursel fahren. Ich rollte die Augen und dachte: Wieder so eine Geschichte. Theo merkte das und zwinkerte mir heimlich zu.

Dirk zahlte und war weg. Das ging ja schnell, sagte Theo und goss uns den Rest Prosecco ein. Wir prosteten uns zu und er sagte: Du hast sehr schönes Haar und ergriff die eine spitze Strähne, die mir immer um den linken Mundwinkel spielt. Ich betrachtete seine perlmuttgrauen Augen und spitzte kurz die Lippen. Es war irgend etwas in seinem Blick, vielleicht war es diese kleine Portion Resignation, die mir gefiel, die mich reizte. Theo sah mich ein wenig erstaunt an und beugte sich dann herüber, um mich zu küssen. Seine Lippen hatten hundert kleine Fältchen und ich fragte mich, wie alt er wohl war. Er streichelte meine Hände und etwas später meine Knie.

Komm, sagte er nach einer Weile. Wir zahlten und gingen hinaus. Die Luft war schwer und neblig von winzig kleinen Tropfen. Und wenn wir nicht plötzlich ein Schluchzen gehört hätten, wären wir einfach vorbei gelaufen.

Da saß mein Freund Dirk auf der kleinen goldenen Couch und weinte herzzerreißend. Ich strich ihm über die Schulter und er blickte auf. Sie hat mich versetzt, schniefte er und ich schüttelte den Kopf. Komm, sagte ich, wir nehmen ein Taxi. Soll ich euch nicht fahren, fragte Theo, der die Lage gleich erkannt hatte. Ach lass, sagte ich, dass wird jetzt kein Vergnügen.

Gib mir wenigstens deine Nummer, sagte Theo und ich nannte sie ihm, weil ich ihn wirklich mochte. Aber, die schöne, geheimnisvolle Stimmung des Abends war vorbei und wer weiß, ob wir sie wieder heraufbeschwören könnten, bei einem nächsten Treffen.

Donnerstag, 27. Januar 2011

Kleine Zeitreise im Rotlint Café in Frankfurt

Das Rotlint wird jetzt von einem Asiaten bewirtet, einem Indonesier vielleicht. Er hat einen sehr freundlichen kahlen runden Kopf und versteht etwas von Tee. Denn er bringt mir für meinen Sencha eine zweite Kanne heißes Wasser. "Der zweite Aufguss schmeckt besser", sagt er und lächelt durch seine runden Brillengläser.

Ansonsten hat sich hier nichts verändert. Es gibt immer noch rotgesprenkelte Marmortische, eine weiße Rose auf dem Tisch und eine rote Kerze, schöne Art Déco Milchglaslampen an Decke und Wänden.

cafe-Rotlint-Tisch

Als ich zum ersten Mal hier war, das muss wohl zwanzig Jahre her sein, war ich in der Ausbildung und arbeitete im sogenannten Shell-Hochhaus. Dort war im vierten Stock die "Automation" untergebracht. Heute würde man das wohl Serverraum nennen. Damals war das die komplette EDV-Versorgung eines international tätigen Chemie-Konzerns. Riesige blaue Kästen verarbeiteten dort Informationen, die Mitarbeiter wie ich auf Spezial-Papier-Bögen eingetragen hatten. Diese Bögen waren in hellem Mint gehalten, die Durchschläge waren Tomatenrot. Das weiß ich noch wie heute. Die Informationen mussten teils mit einem bestimmten Kugelkopf einer roten IBM und teils in genormten Zahlen mit bestimmten Bleistiften aufgebracht werden. Es war etwas mühsam und wenn man nicht deutlich genug schrieb, musste jemand aus der Automation den Bogen nochmals ausfüllen. Ich war bald Spezialistin darin, die Vertipper mit der Rasierklinge auszubessern. Hinter den genormten Zahlen verbargen sich verschlüsselte Werksnummern, Einschiffungshäfen und Ankunftshäfen der Waren. Ich bediente die Häfen Abidjan, Durban, Madras und Port Moresby.

Gerade kommen zwei Inderinnen herein. Sie unterhalten sich mit dem Wirt über die Nachteile eines Automatikantriebes im Winter. Alle Miteinander sprechen sie deutsch.

Damals war Juni und ich ging in der Mittagspause allein durch die Straßen, immer auf Entdeckertour im mir noch unbekannten Nordend. Bei einem Friseur in der Rohrbachstraße ließ ich mir die Haare kurz schneiden. Bei einem kleinen Hippieladen kaufte ich mir ein Sommerkleid aus weißer indischer Baumwolle und ein kleines Köfferchen aus Rattan, das mir als Arbeitstasche diente.

Damals hätte ich gehen sollen. Weg aus dieser Ausbildung. Weg aus Frankfurt.

cafe-Rotlint-schraeg

Donnerstag, 20. Januar 2011

Genießen, was gerade ist: Café Korb in Wien

In irgendeinem Mai saß ich abends im Café Korb in Wien und sinnierte über den Satz nach, den mir kurz zuvor ein Freund ans Herz gelegt hatte: "Versuche doch erstmal das zu genießen, was gerade ist." Das ist ein schönes Motto, das man sich durchaus auch an den Anfang eines Jahres stellen kann. Vielleicht ist das besser, als jedes Jahr wieder all den guten Vorsätzen hinterher zu rennen.

Da saß ich also im Café Korb und versuchte, den Augenblick zu genießen. Dass ich hier an einem Tisch sitzen durfte, wie aus der Zeit gekippt. Dass die Sonne hereinschien zu den großen Fenstern und den ganzen Ort so zauberhaft machte. Dass ich noch diese schönen Bilder im Kopf hatte, aus dieser Ausstellung: "Die Sehnsucht nach dem Glück."

Ich ließ meinen Blick durch den Raum gleiten. Er blieb hängen an den schönen Schwarzweißfotos von der Besitzerin, einer Frau mit einem markanten Gesicht, zur Zeit der Aufnahmen noch jung. An den Hasenohren in tomatenroten Töpfen - Hasenohren, so nenne ich diese typischen Zimmerpflanzen aus den sechziger Jahren. Am scharf geschnittenen Kinn einer älteren Dame, die ganz allein und selbstzufrieden an einem Tisch saß und sehr langsam ein Wiener Schnitzel verspeiste. Sie weiß, wie man den Augenblick genießt, dachte ich. Sorgfältig schnitt sie kleine Bissen von ihrem knusprigen Fleisch ab und kaute sie so lange, bis sie auf der Zunge zergingen. Der Geschmack von Butter. Dann eine Gabel mit Kartoffelsalat und dann ein Schluck Bier. Dazwischen eine kleine Pause mit einem Blick aus dem Fenster. Es war leicht gekippt.

Cafe-Korb1

Der Frühling mit seinem Duft von Flieder schwappte herein. Vielleicht würde es ihr letzter sein. Vielleicht auch nicht. Vielleicht hatte sie das schon viele Jahre gedacht. Sie kam jedenfalls regelmäßig hierher, da war ich mir sicher. Vielleicht kam sie früher mit ihrem Mann und noch früher mit ihrem Liebhaber. Sie dachte daran, in jenem Augenblick und fragte sich, wo das ganze Leben hingekommen war. Dann rief sie nach dem Ober und bestellte noch ein Bier: Mit bissel Wasser drin, bittschön.

Sie trug ein schwarz getupftes fünfziger Jahre Kleid zur weißen Steckfrisur. Sie hatte Stil - und ihre Augen verrieten, dass sie ein richtiges Leben gelebt hatte. Eines als Frau und Mutter und Geliebte und Großmutter - doch das war alles lang vorbei.

Auch aus der Zeit gekippt, dachte ich. Keiner wartete mehr auf sie - und deshalb bestellte sie sich noch eine Sachertorte und einen kleinen Schwarzen. Sie tat das alles mit einer großen Selbstsicherheit, einer Selbstsicherheit, die keine Zweifel zuließ an der Richtigkeit ihres Handelns. Wahrscheinlich aß sie hier jeden Freitag Abend ihr Schnitzel, seit vielen Jahren. Und in diesen vielen Jahren hatte sie gelernt, diesen Abend zu genießen, jeden Augenblick davon - und dafür bewunderte ich sie ein wenig.

Ich sah wieder zu dem Schwarzweißfoto hin. Vielleicht war sie das auf dem Bild, schoss es mir durch den Kopf - vielleicht war das ihr Café.

Inhaberin

Dienstag, 11. Januar 2011

Warum geht der Mensch ins Kaffeehaus? Oder ein Leben ohne Laumer - undenkbar!

Gleich in der ersten Woche des neuen Jahres stattete ich dem ehrwürdigen Café Laumer einen Besuch ab, denn wer weiß, wie lange man das noch kann, nachdem im letzten Jahr Insolvenz angemeldet werden musste. Es kommt mir vor, als ob viele Leute so denken, denn das Café ist gut besucht und das an einem Montag Abend. Die Besucher wollen diesem Ort, den sie genauso mögen, wie er ist, nämlich ungestylt und ein bisschen in die Jahre gekommen, die Treue halten. Das Café mit seinen graublau bezogenen Bänkchen, der Holztäfelung, die mit Bildern von kunstvollen Torten behängt ist, erscheint nicht nur mir ein Bollwerk gegen die technisierte Welt, die besonders im Westend, nah der Bankentürme, hinter jeder Ecke zu lauern scheint.

Viele der Gäste schauten, so schien mir, ein wenig betroffen drein und ebenso die Bedienungen, die besonders lieb sein wollten und jedem ein Tellerchen mit hausgemachtem Buttergebackenen brachten, so als wollten sie jedem noch einmal den Geschmack von etwas Echtem vor die Lippen führen.

Mich regte diese gewisse Endzeitstimmung zu einigen grundsätzlichen Gedanken über das Kaffeehaus an. Warum fühle ich mich dort so wohl und wie zu Hause? Besser gesagt, zu Hause fühle ich mich eigentlich weniger zu Hause als im Café...

Kaffeehaus

Es kommt wohl daher, dass ich das schon als kleines Mädchen kennengelernt habe, diese warme, wohligduftende Atmosphäre. Meine Großmutter und mein Großvater nahmen mich mit an solche Orte, wenn es in die Stadt ging. So ein Cafébesuch war immer der Höhepunkt eines Stadtbesuches.

Mein Lieblingscafé war in den frühen siebzigern das von uns Kindern so genannte Äffchencafé. Eigentlich hieß es Café Wipra oder Café der Tierfreunde und befand sich in der Neuen Kräme. Dort gab es tatsächlich kleine Äffchen und bunte Fische. Dorthin und auch ins Café Laumer ging ich mit meiner Großmutter mütterlicherseits. Sie wohnte in Sindlingen bei Frankfurt und ich wurde in Offenbach in die Straßenbahn gesetzt und fuhr bis zum Willy-Brandt-Platz, der damals noch Theaterplatz hieß, wo meine Großmutter wartete. Oft bekam ich bei solchen Ausflügen ein schönes Kleid oder ein Paar neue Stiefel - einmal rote mit weißem Fell, wie kleine Husarenstiefel - und danach ging es eben ins Café. Dort bestellte ich im Winter Schokoladentorte und im Sommer Aprikoseneis.

Mit meinem Großvater väterlicherseits ging ich dagegen meistens ins Café Schulte in Offenbach. Dort wurden die Torten auch selbst gemacht und außerdem stadtbekannte Pralinen. Noch heute ärgere ich mich, dass ich vor dem Abriss des Hauses nicht das gesamte Interieur aufgekauft habe. Das war nämlich möglich. Die Stühle, Tische, Garderobenständer und Blumenväschen aus den Fünfziger Jahren wurden zum Spottpreis verschleudert und stehen heute wohl einzeln in irgendeiner Wohnung oder sind schließlich doch auf dem Müll gelandet.
Soll den blaubezogenen Bänkchen und Tortenbildern aus dem Café Laumer etwa das gleiche Schicksal blühen?

Am Tisch neben mir nimmt eine große, schlanke Frau in schwarzem Pelz Platz. Im Café kann man allein sitzen und ist doch nicht allein, denke ich und ein Zitat von Alfred Polgar kommt mir in den Sinn: "Ins Kaffeehaus gehen Menschen, die allein sein wollen, aber dazu Gesellschaft brauchen."

Man überbrückt Zeit, die man gerade zuviel hat, mit Schmecken und Schnuppern und Staunen, mit Lauschen und Sinnieren. Und Wahrnehmungen dieser Art werden wahrscheinlich immer seltener. Mich regt, wie viele, das Murmeln der Stimmen, diese verhaltene kontinuierliche Melodie zum Schreiben an. Ein paar Worte, eine kleine Szene lösen ein Gedanken aus und vielleicht ist das der Beginn einer neuen Geschichte, die man dann zu Hause weiterspinnen kann, aber eben nur weiterspinnen. Das erste Aufblitzen einer Idee entspringt oft an einem öffentlichen Ort und schön ist es, wenn man ihn dann auch gleich aufschreiben kann, wie im Kaffeehaus.

Montag, 27. Dezember 2010

Jahresrückblick mit Henry Miller: Schiffer Café in Frankfurt Sachsenhausen

Heute also der erste Tag dieser seltsamen Zeit "Zwischendenjahren". Besonders bedeutungsschwer erscheinen mir diese Tage stets, vielleicht auch, weil mit dem Jahreswechsel auch immer ein neues Lebensjahr für mich bereit steht. Vielleicht deshalb lege ich diese Tage ein wenig auf die Goldwaage, versuche ihnen eine besondere Bedeutung für die Vergangenheit oder die Zukunft abzuringen.

Der erste Hälfte dieses ersten Tages ging ganz gut. Zuerst ein ausgiebiges Frühstück und ein heißes Bad mit ein paar Sätzen von Henry Miller. Er war auch ein Steinbock, sein Geburtstag jährte sich am 26.12.2010 zum 119. Mal und ich habe es mir seit einigen Jahren zu einem kleinen Endjahresritual gemacht, ein bisschen still mit ihm zu feiern. Ich nehme ein Buch von ihm zur Hand und stöbere ein paar Tage lang, bis zu meinem eigenen Geburtstag im Januar, darin nach schönen Sätzen. Im Wendekreis des Steinbocks fand ich gleich auf der ersten Seite so einen Satz, der meine Revue des vergangenen Jahres vortrefflich zu begleiten schien: "Ich hatte genügend Verstand, flößte aber Mißtrauen ein. Wo immer ich auch hinkam, erregte ich einen Mißklang - nicht weil ich einem Ideal diente, sondern weil ich wie ein Scheinwerfer die Dummheit und Nichtigkeit von allem beleuchtete."

Henry

Das erinnerte mit sehr an meine berufliche Situation im letzten Herbst, manchmal kam ich mir da auch wie so ein Missklang vor oder wie ein böser Scheinwerfer, der Dinge beleuchtete, die keiner wahrhaben wollte

Den Nachmittag beschloss ich für einen Spaziergang zu nutzen - allerdings ganz allein wollte ich dabei nicht sein. Ich nahm mir den "Wendekreis des Steinbocks" mit und beschloss am Main entlang nach Sachsenhausen zu laufen und in irgendeinem Café einzukehren, um meine inspirierte Stimmung noch etwas festzuhalten. Frankfurt ist zwar nicht Paris und Sachsenhausen nicht die Place de Clichy, wo sich Henry Miller gern im Café Wepler niederließ, weil es dort zusätzlich zu Café und Croissant auch noch auch noch gutes Schreibpapier umsonst gab - aber, na gut.

Eingehüllt in Mantel, Schal und Mütze begab ich mich in den Tiefschnee und wanderte tapfer voran. Kurz vor der Gerbermühle beobachtete ich zwei Häschen unter einem kleinen Baum mit unzähligen Vögeln darauf - es gab also auch Leben in dieser Kälte. Das war ermutigend. Am Mainufer konnte ich außerdem eine neue Sportart für Männer beobachten, die sich großer Beliebtheit erfreute. Sie joggten mit einem dreirädrigen Kinderbuggy vorneweg. Das schien zwei Vorteile zu haben: Die Männer, gerade noch so am Rande des Jungseins, blieben sicher in der Spur und der Nachwuchs gewöhnte sich gleich an die Geschwindigkeit des Lebens.

Umso weiter ich nach Sachsenhausen kam, umso voller wurde es, so dass ich mir die Museumscafés lieber verkniff und nach einigem Hin und Her Richtung Schiffercafé lief, wo ich den guten Kaffee der Rösterei Wacker wusste. Auch mit diesem Gedanken war ich heute nicht allein. Alle Plätze waren besetzt, aber ein freundlicher Mann, gerade am Zahlen, überließ mir seinen schönen Platz auf einem roten Lederbänkchen mit dem Rücken zur Wand.

Ich bestellte Espresso und Linzer Torte - die anderen waren weggegessen - und holte den "Wendekreis" und mein Notizbuch heraus. Draußen veränderte sich langsam das Licht, färbte sich ein, die Blaue Stunde rückte heran, die Henry Miller einst beschwor und die heute in der Sprache der Werbung so gern bemüht wird. Dennoch empfand ich heute den besonderen Zauber dieser Tageszeit mit ihrer Geschäftigkeit und Erwartungsfreude vor dem Nachtleben. Bei mir und auch bei den anderen Menschen hier, lag darin vielleicht auch die Erwartungsfreude vor dem neuen Jahr.

Schiffercafe

Sonntag, 26. Dezember 2010

Romantische Schutzhütte: Café Laumer in Frankfurt

Unter einigen anderen lokalen Meldungen fand ich heute die Nachricht von der Insolvenz des Café Laumer, die mich doch betroffen machte. Denn das traditionsreiche Frankfurter Kaffeehaus war mir in diesem Sommer eine ganz besondere Herberge. Eine Art romantische Schutzhütte vor der Sachlichkeit des modernen Business. Ich schätze die altmodische Atmosphäre, die hier herrscht, den besonders charakteristischen Geruch nach alten Butterplätzchen. Hier tragen die Bedienungen noch kleine, weiße Schürzen, hier versprühen sie noch die sprichwörtlich raue Frankfurter Herzlichkeit.

Laumerschild

Meine Bürozeiten waren angefüllt mit elektronischen Nachrichten auf dem kleinen, weißen Bildschirm meines I-Phones oder auf dem größeren grauen Bildschirm meines Laptops. Nur selten läutete das Telefon. Seit es elektronische Nachrichten gibt, drücken sich die Menschen vor echten Gesprächen.

Das Café Laumer bot die Chance, dieser abstrakten digitalen Welt für eine halbe Stunde gänzlich zu entfliehen. Es war eine Oase der guten alten Zeit und der Beweis dafür, dass sich manche Dinge Gottseidank nicht ändern. Hier war nichts digital. An der Theke musste man warten, bis man drankam - und das konnte dauern. Man musste sich disziplinieren und rasch eine Torte auswählen, für die man ein Nummernzettelchen erhielt. Mit diesem Zettelchen begab man sich an einen freien Tisch und wartete auf die Bedienung im weißen Schürzchen. Diese Bedienungen hatten ein Alter, dass ihrem Berufsstand entsprach, und eine entsprechende Figur, die vom Schürzchen eng zusammengehalten wurde.

Ich wurde dort als "Dame" angesprochen und konnte mich eine halbe Stunde lang so fühlen. Während ich mir in meinem Büro eher wie ein Neutrum vorkam, wie irgendeine gesichtslose Antwortmaschine. Das Laumer war ein Ort, der inspirierte, weil er so gar nicht in die heutige Welt passte. Hier nahm ich regelmäßig mein kleines Notizbuch heraus und schrieb ein paar Gedanken auf - mit der Hand. Damit bremste ich das Karussell in meinem Kopf für eine kleine Weile aus. Beim Anblick der samtbezogenen Bänkchen kamen mir beispielsweise Erinnerungen an meine Großmutter. Wie sie in solchen Cafés nur mit einem Pelzhut saß, wie sie sich die Lippen rot bemalte, die Nase puderte.

Laumerinterieur

Als ich im November zum letzten Mal dort war, feierte ich mein Entkommen aus dem nahegelegenen Büro, mit einem Glas Prosecco und hörte mit Bestürzen, dass der Inhaber gerade gestorben war. Damit kündigte sich bereits die Vergänglichkeit dieser Institution an und man kann nur hoffen, dass neue Betreiber einen Sinn haben für diesen Ort und nicht dem in der Meldung angesprochenen "Renovierungsstau" nachgeben. Denn so wie das Laumer gibt es kaum noch ein Café in Frankfurt. Hier schwebt noch der Geist von Literaturcafé und Caféhausliteratur durch die Räume. So sah ich zum Beispiel einige Male Wilhelm Genazino auf der Terrasse seinen Kaffee trinken.

Donnerstag, 23. Dezember 2010

Come sempre: Das Rosati in Rom

Das Rosati an der Piazza Popolo in Rom ist nicht einfach ein Café, es ist vielmehr eine Institution. Man kennt es heute und man kannte es früher, so zum Beispiel 1941. Deutschland führte Krieg und alle europäischen Großstädte waren voller Flüchtlinge. Politisch anders Gesinnte, Künstler, Juden und welche, die beides waren.

Rosati

Unter ihnen befand sich auch die junge Anja Lundholm, die ich viele Jahre später in Frankfurt als Schriftstellerin und Zeitzeugin kennenlernte, und die mir diese Geschichte aus dem Café Rosati erzählte. Der jungen Schauspielerin aus Berlin war es gelungen, unter dem Vorwand, ihrem Filmteam nachzureisen, in die italienische Hauptstadt zu gelangen.

Nun war sie hier und kannte erst einmal niemanden, denn sie war allein gereist, in ihrer Not - von den neuen Herrschern als "Halbjüdin" klassifiziert, konnte sie in ihrem geliebten Berlin nicht bleiben. Also Rom. Obwohl im unfreiwilligen Exil, war die junge Frau von siebzehn Jahren überwältigt von der Stadt und ihrem Dolce Vita, das immer noch ein bisschen lebendig war. Sie ließ sich treiben von der Grandezza der Straße und entdeckte das Rosati.

Das Café wurde zu ihrem Angelpunkt. Sie ging jeden Nachmittag hin und blieb, bis die Lichter angingen. Denn hier trafen sich die Reisende und Flüchtende aus der ganzen Welt. Vielleicht also eine Möglichkeit, alte Bekanntschaften wiederzutreffen oder neue Bekanntschaften zu machen.

Und tatsächlich. Eines Tages lernte sie einen jungen Mann kennen. Sie kamen ins Gespräch. Er war ebenfalls aus Deutschland geflohen, aber schon vor einem Jahr. Sie fasste Vertrauen und erzählte ihm, dass sie keine gültigen Papiere besaß. Das war für ihn Anlass, sie mitzunehmen zu einer Gruppe Widerständler, die Papiere für Flüchtlinge besorgte und ihnen half aus Deutschland und Europa wegzukommen. Von diesem Tag an gehörte Anja zu ihnen. Sie half so gut sie konnte und man half ihr. Das Rosati hatte sie gerettet, sie war erst einmal unter.

Ich stelle mir also vor, an welchem Tisch sie gesessen hat. An einem, an dem sie möglichst wenig Aufmerksamkeit erregte oder nur gerade soviel, wie eine ganz normale junge Frau. War es Frühling gewesen? Dann saß sie bestimmt draußen hinter den Ligusterbüschen in der Sonne. Gerade der Hölle entkommen, genoss sie dieses unbegreifliche Blau des Himmels und diese unbegreifliche Schönheit der Stadt. Wie konnte es sein, dass alles spurlos an diesem Ort vorübergehen konnte?

Und selbst heute sieht es hier unverändert aus. Das Rosati ist immer noch ein Treffpunkt für Gäste aus aller Welt. Mir gegenüber sitzt eine indische Familie mit ungezogenen Kindern, die nicht sitzen, sondern herumkrabbeln. Aber trotzdem, molto gentile die Kellner, come sempre.

Einer flirtet mit mir, schmilzt dahin, als ich ihn um zwei dieser kleinen Küchlein bitte, con ciocolata. Er wiederholt das Wort, fragt, wo ich herkomme. Germania. Das war damals ein Name für ein schlimmes Land, von wo die Menschen wegrannten. Er lächelt und scheint nichts zu wissen von der Vergangenheit dieses Ortes und nichts von meinen Gedanken. Hier ist zum Glück alles wie immer, come sempre.

Sotto Voce

Webteppich aus Worten und Bildern

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

Vergessene Stadtvillen,...
Ich lasse die Zwiebelkuppel und das schlanke, weiße...
Ingrid Walter - 4. Oktober, 21:02
Bahnhof, Balkangrill...
Und da wandere ich wieder. Im Buchrainweg geht es los,...
Ingrid Walter - 16. August, 10:31
Ausblicke-Einblicke -...
Wenn man reinkommt, fängt das große auf Leinwand gezogene...
Ingrid Walter - 21. Juli, 16:51
Pause nach dem Weg über...
Hier sitze ich also heute nach einem ebenso anregenden...
Ingrid Walter - 14. Juli, 20:17
Ein Tag mit der besten...
Ein Samstag in Aschaffenburg bei meiner Freundin kommt...
Ingrid Walter - 13. Juli, 20:37

Links

Suche

 

Status

Online seit 5186 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 4. Oktober, 21:05

Credits


Arbeitsjournal
Gartenlaube
Kaffeehaus
Kunst
Kurzgeschichten
Roman im Entstehen
Selbstporträt
Streifzüge
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren