Herr und Frau Schmidt

Ein anthrazitfarbener Mercedes der S-Klasse glitt den legendären Highway Number One herunter. Der Wagen bremste und fuhr auf den Parkplatz eines Ausflugrestaurants. Dieses war im Stil eines französischen Landschlößchens gebaut und leuchtend weiß verputzt. An seinen Mauern ringelte sich kein wilder Efeu empor, aber es standen Blumenkästen mit roten Geranien auf den Fenstersimsen. Aus einem mächtigen Schornstein stieg Rauch in grauen Spiralen in den rosagefärbten Abendhimmel, der einen sonnigen Herbsttag beendete. Vor dieser Kulisse, die den kitschigsten Ansichtskarten der Gegend alle Ehre machte, hielt der Wagen knirschend an.

Ein grauhaariger Herr mit kräftiger Gesichtsfarbe stieg aus und wartete. Er war mit einem leichten Leinenjackett bekleidet und spielte ungeduldig mit dem Wagenschlüssel. Endlich öffnete sich die Beifahrertür und seine Frau setzte vorsichtig die Füße auf den Kiesboden, um sich die hochhackigen Schuhe nicht zu beschmutzen. Der Mann drehte den Schlüssel herum, und die Zentralverriegelung ließ alle Schlösser gleichzeitig zuschnappen. Mit schweren Schritten ging er um den Wagen herum und bot seiner Frau den Arm.

Schweigend betraten sie das Restaurant. Herr Schmidt blickte auf seine Armbanduhr und wandte sich dann an seine Frau: Warte hier, bis der Kellner kommt. Ich gehe mir nur rasch die Hände waschen. Frau Schmidt zog die Augenbrauen zusammen, wartete aber dann mit scheinbar gleichgültigem Gesichtsausdruck in der Eingangshalle.

Endlich kam der Kellner und führte sie zu einem der Tische. Frau Schmidt zögerte einen Moment und wählte dann den Platz mit dem Rücken zum Kamin. Auf dem Tisch standen Kerzen und rosafarbene Servietten waren in einem fächerförmigen Halbkreis vor schimmernden Porzellantellern aufgerichtet. Herr Schmidt kam von der Toilette zurück, schob geräuschvoll seinen Stuhl nach hinten und setzte sich. Ständig drehte er den Kopf und blickte über seine Schulter, bis der Kellner kam und die Speisekarten brachte.

Frau Schmidt besah sich gelangweilt das Büttenpapier mit der geschwungenen Handschrift. Sie hatte keinen Hunger und schon gar keinen Appetit. Ich glaube, ich esse nur einen Salat, sagte sie und sah ihren Mann an. Dieser hatte die Karte ausführlich studiert. Er hatte den Kopf hin- und hergewiegt und war sich mit der Zunge über die Lippen gefahren. Nun blickte er erstaunt auf. Glaubst du, ich reserviere extra einen Tisch, um dann nur eine Vorspeise zu bestellen? Frau Schmidt sah zum Fenster hinaus. Du kannst doch essen, was du möchtest, aber ich habe keinen Hunger. Herr Schmidt zog die Augenbrauen hoch. Ich lade dich in ein vornehmes Restaurant ein, in dem man schwer einen Platz bekommt und du hast keinen Hunger? Komm, tu mir den Gefallen, such dir etwas Vernünftiges aus.
Wir waren doch gestern erst essen. Ich mag wirklich nichts.
Was du nicht magst, kannst du ja stehen lassen.
Frau Schmidt nahm ein Taschentuch aus ihrer Handtasche und tupfte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Ihr Mann hatte seinen Blick bereits wieder in die Karte versenkt.

Der Kellner kam und fragte, ob sie schon gewählt hätten. Noch einen Moment, sagte Herr Schmidt, ohne aufzublicken. Auch seine Frau blickte jetzt wieder in die Karte. Das Kaminfeuer knackte und ein Holzscheit fiel krachend gegen das Gitter. Der Kellner kam mit Block und Bleistift, um die Bestellungen aufzunehmen. Sie müssen mehr Holz auflegen, das Feuer geht sonst gleich aus, sagte Herr Schmidt und blickte den Kellner auffordernd an. Dieser steckte den Stift ein, nahm seinen Block unter den Arm und ging ans Feuer. Vorsichtig schob er das heruntergefallene Holzscheit zurück und legte drei neue Scheite auf. Dann ging er zurück an den Tisch. Zu trinken möchten wir eine Flasche St. Emilian. Als Vorspeise nehme ich die Shrimps in Weißweinsud und meine Frau einen Salat mit Walnüssen. Danach für mich ein Filetsteak, blutig. Und du Liebes? Er sah sie erwartungsvoll an. Für mich ein Lammkotelett Provencal.

Der Kellner bedankte sich, nahm die Karten und ging an den Nebentisch. Dort hatte ein junges Paar platz genommen. Herr Schmidt beobachtete wie sich die jungen Leute nach den Spezialitäten des Hauses erkundigten, die nicht auf der Karte verzeichnet waren. Nachdem der Kellner alles notiert hatte, begannen sie sich wieder zu unterhalten. Herr Schmidt konnte nur wenige Worte von dem, was sie sagten verstehen. Sie sprachen eine andere Sprache, voller weicher, warmer Laute, die Herr Schmidt als italienisch identifizierte.

Frau Schmidt konnte überhaupt nichts verstehen, bemerkte aber, daß das Paar sehr vergnügt war. Sie blickte aus dem Fenster in die Dunkelheit, die sich über die Landschaft senkte. Herr Schmidt sah in das Feuer und schnappte einige Worte der jungen Leute auf. Offenbar waren sie auch Touristen und erst seit einigen Tagen in der Gegend. Das junge Mädchen hatte glänzendes, dunkles Haar und braune Augen. Ihr Begleiter war blond und hatte eine helle Haut. Aus dem kurzen Dialog, den das Mädchen mit dem Kellner geführt hatte, entnahm Herr Schmidt, daß sie auch englisch verstand. Er wartete, bis sie zu ihm herüberblickte und fragte, was sie sich bis jetzt angesehen hätten, und das Mädchen antwortete. Er fragte dann weiter, wo sie untergebracht seien. Sie erzählte freimütig, daß sie eine kleine Blockhütte gegenüber am Highway gemietet hätten. Herr Schmidt schwärmte von einigen Hotels in der Gegend und empfahl sie wärmstens. Diese Häuser wären für die jungen Leute natürlich nie in Betracht gekommen. Frau Schmidt hörte dem Gespräch zu und bekam eine leichte Gänsehaut. Ihr Mund war schmal und farblos und ihre wasserblauen Augen blickten ins Leere. Die schlanken Finger, die lange lachsfarbene Nägel, trugen spielten mit der aufgestellten Serviette. So beginnt es jeden Abend, dachte sie, als der Kellner mit den Vorspeisen kam.

Zuerst stellte er Frau Schmidt den Salat hin, dann Herrn Schmidt die Shrimps. Könnte ich ein wenig Pfeffer bekommen, fragte Herr Schmidt mit lauter Stimme und sah den Kellner an. Der hatte sich bereits umgewandt und brachte eine große hölzerne Pfeffermühle.

Herr Schmidt drehte die Mühle und die zermahlenen schwarzen Krümel fielen auf seinen Teller. Danach breitete er seine Serviette über den Schoß und begann zu essen. Frau Schmidt hob die Gabel und spießte ein Salatblatt auf. Herr Schmidt blickte wieder zum Nebentisch. Das Essen hier ist wunderbar, nicht wahr. Ja, sehr gut, erwiderte das Mädchen und löffelte ihre Suppe. Frau Schmidt lächelte und sagte: Es ist wirklich delikat. Ihr Mann blickte kurz auf: Ich freue mich, daß es dir trotzdem schmeckt. Alle schwiegen eine Weile und kauten. Bald brachte der Kellner die Hauptspeisen.

Herr Schmidt nahm das Gespräch wieder auf und fragte: Bleiben sie länger hier in der Gegend? Noch ungefähr drei Tage. Das ist natürlich sehr kurz. Aber wenn sie schon hier sind, müssen sie sich unbedingt die Wasserfälle ansehen. Sie sind großartig. Frau Schmidt blickte auf und tupfte sich mit der Serviette den Mund ab. Wir werden sehen, ob wir das noch schaffen, sagte das Mädchen. Es gibt ja soviel zu sehen. Frau Schmidt fing den Blick des Mädchens auf und seufzte.

Dafür müssen sie sich unbedingt Zeit nehmen, wer die Wasserfälle nicht gesehen hat, hat das Land nicht gesehen, entschied Herr Schmidt als er ein Stück des blutigen Steaks zermahlen und hinuntergeschluckt hatte. Das Mächen wandte den Blick ab und begann sich wieder in der fremden Sprache mit ihrem Freund zu unterhalten. Herr Schmidt biß sich auf die Lippen und legte sein Besteck nieder. Das Essen seiner Frau war fast unberührt und längst kalt geworden. Das kalte Lammfleisch strömte einen tranigen Geruch aus.

Jetzt beobachtete Frau Schmidt die jungen Leute am Nebentisch. Sie hatten mit Genuß gegessen und bestellten bereits ein Dessert. Es fiel kein weiteres Wort und Herr Schmidt rief den Kellner, um zu bezahlen. Er klappte ein rotes Kunstlederbüchlein auf und legte eine goldschimmernde Plastikkarte hinein. Der Kellner nahm das Büchlein und kam nach kurzer Zeit wieder. Herr Schmidt unterzeichnete ein kleines, dünnes Papier und steckte die Kopie in seine Brieftasche. Danach erhob er sich und ging hinaus. Frau Schmidt legte ihr Halstuch um, nahm ihre Handtasche und sagte beim Hinausgehen "Auf Wiedersehen" zu den jungen Leuten.

Draußen hatte Herr Schmidt bereits den Motor angelassen und sie fuhren los. Der Nachthimmel war bedeckt, als ob sich das Wetter ändern wollte. Man sah keine Sterne. Sie parkten auf dem Hotelparkplatz und stiegen aus. Herr Schmidt ging zur Rezeption und holte den Zimmerschlüssel. Der Lift brachte beide nach oben. Im Hotelzimmer ging Herr Schmidt auf eines der beiden Kingsize-Betten zu, nahm die goldgestreifte Tagesdecke herunter und begann seine Schnürsenkel zu lösen.

Frau Schmidt ging ins Bad. Sie band sich das Haar zurück und schminkte sich ab. Danach trug sie eine hellblaue Nachtcreme auf, nur die empfindlichen Augen sparte sie aus. Nachdem sie sich die Hände gewaschen hatte, streifte sie das Band ab und zog ihr Nachthemd, das an der Tür hing, an. Bist du fertig?, fragte Herr Schmidt, der inzwischen im Bett lag und den Wirtschaftsteil studierte. Er legte die Zeitung weg und hielt die Hand an den Lichtschalter. Ich komme, antwortete sie und das Licht ging aus.

Unter der Bettdecke begannen die Hände von Herrn Schmidt zu wandern. Sie streiften ihr Nachthemd nach oben. Sie sagte nichts. Sein Körper legte sich auf sie und begann sich langsam, aber rhythmisch zu bewegen. Er war sehr schwer.

Frau Schmidt stöhnte ein wenig und atmete den starken Knoblauchdunst, der von oben kam ein. Ihr war sehr heiß und das hochgeschobene Nachthemd drückte sie im Rücken. Sie stöhnte jetzt ohne Pause und ein wenig lauter. Herr Schmidt schnaufte, stöhnte kurz und blieb einen Moment völlig regungslos liegen. Danach rollte er auf seine Seite des Bettes. Schlaf gut Liebling, ich bin sehr müde.

Sie sagte nichts und wartete bis sie die tiefen gleichmäßigen Atemzüge ihres Mannes vernahm. Danach erhob sie sich sachte und ging hinüber zum unberührten Nachbarbett. Sie schaltete die kleine rosa Nachttischlampe an und schlug die Tagesdecke zurück. Vorsichtig zog sie die Nachttischschublade auf und nahm einen Kriminalroman heraus. Sie rückte sich beide Kissen am Kopfende des Bettes zurecht und legte sich auf das Bett. An der mit einem Eselsohr markierten Stelle schlug sie ihr Buch auf und begann zu lesen.

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