Wieder so eine Geschichte: Maingold Café Frankfurt

Immer, wenn ich im Maingold bin, muss ich an diesen seltsamen Abend denken, an dem ich einmal mit meinem Freund Dirk hier war. Die intimen Plaudereckchen scheinen solche Erlebnisse geradezu herauszufordern.

Maingold

Dirk und ich sind schon lange befreundet und wir sind beide blond, beide nicht groß, beide eher mit Figur ausgestattet als mit Schlankheit. Im Grunde sind wir uns zu ähnlich. Wahrscheinlich funktioniert unsere Freundschaft deshalb schon so lang. Er steht auf große Dunkelhaarige, genau wie ich.

Genau solch ein Pärchen, scheinbar auch befreundet, saß an jenem Abend mit uns im roten Zimmer, das zur Straße hin blickt. Es war der einzige große Tisch, an dem noch Plätze frei waren und wir fragten, ob wir uns dazusetzen dürften. Sie nickten artig und wandten sich wieder ihrem Gespräch zu. Sie hatte dunkle Locken bis zur Brust und er, naja, er war nicht mehr dunkelhaarig, sondern grau melliert. Sie redeten über das Heiraten. Wobei er eine negative Meinung darüber hatte und so klang, als habe er das alles schon hinter sich, während sie wohl ernsthaft darüber nachdachte und insgeheim schon die Feier plante, ohne dass der Auserwählte davon wusste.

Ich merkte wie Dirk die Frau taxierte. Also, sah ich mir mein Gegenüber auch genauer an. Er hatte schöne graue Augen, mit einem Schimmer ins Blau, wie dunkles Perlmutt. Aber es war ein Hauch von Melancholie darin, den ich mit seiner negativen Haltung zum Heiraten in Verbindung brachte. Als Dirk bemerkte, dass die Frau sich eine Zigarette drehte, fragte er sofort, ob er eine bekommen könnte, er habe schon so lange nicht mehr geraucht. Sie fand das offenbar charmant, lächelte und gab ihm die fertig Gedrehte. Als sie sich ihrerseits noch eine Weitere gedreht hatte, gingen die beiden hinaus und überließen uns unserem Nichtraucherdasein.

Maingold-rot

Und sie? fragte der Grauäugige. Möchten sie auch heiraten? Im Moment nicht, sagte ich und er lächelte. Die Vagheit meiner Antwort schien ihm zu gefallen. Er stellte sich als Theo vor und sagte noch, dass so ein unterschriebenes Stück Papier viel Befangenheit mit sich bringen könnte. Ich stimmte mit einem Nicken zu und die beiden anderen kamen wieder herein.

Wir bestellten Oliven und Käse und unterhielten uns zu viert weiter, tauschten uns über unsere Berufe aus. Theo outete sich als Jazzgitarrist. Dirk hatte schon ziemlich viel Rotwein getrunken, was ihn ermutigte, an der Bar eine Flasche Prosecco zu bestellen, die in einem silbernen Standkühler ankam. Die junge Frau wollte nichts trinken und ließ sich schließlich zu einem Glas zum Anstoßen überreden. Dirk war in Fahrt und schwadronierte über Lady Gaga und den Niedergang der Popmusik. Irgendwie glaubte er immer, dass jeder, den er mochte auch seiner Meinung sein müsste. Aber, die junge Frau wurde im Laufe des Abends immer schweigsamer. Er nötigte ihr schließlich noch eine Zigarette ab und gab ihr draußen auf dem kleinen Sofa vor dem Fenster scheinbar einen Kuss. Jedenfalls waren ihre Köpfe sehr nah beieinander.

Ich unterhielt mich mit Theo auch über Musik. Er komponierte eigene Stücke und schien sensibel zu sein. Ich schämte mich ein wenig für meinen Freund Dirk. Irgendwann kam er wieder herein und verkündete, Nana würde jetzt ihr Auto holen und sie würden gemeinsam nach Oberursel fahren. Ich rollte die Augen und dachte: Wieder so eine Geschichte. Theo merkte das und zwinkerte mir heimlich zu.

Dirk zahlte und war weg. Das ging ja schnell, sagte Theo und goss uns den Rest Prosecco ein. Wir prosteten uns zu und er sagte: Du hast sehr schönes Haar und ergriff die eine spitze Strähne, die mir immer um den linken Mundwinkel spielt. Ich betrachtete seine perlmuttgrauen Augen und spitzte kurz die Lippen. Es war irgend etwas in seinem Blick, vielleicht war es diese kleine Portion Resignation, die mir gefiel, die mich reizte. Theo sah mich ein wenig erstaunt an und beugte sich dann herüber, um mich zu küssen. Seine Lippen hatten hundert kleine Fältchen und ich fragte mich, wie alt er wohl war. Er streichelte meine Hände und etwas später meine Knie.

Komm, sagte er nach einer Weile. Wir zahlten und gingen hinaus. Die Luft war schwer und neblig von winzig kleinen Tropfen. Und wenn wir nicht plötzlich ein Schluchzen gehört hätten, wären wir einfach vorbei gelaufen.

Da saß mein Freund Dirk auf der kleinen goldenen Couch und weinte herzzerreißend. Ich strich ihm über die Schulter und er blickte auf. Sie hat mich versetzt, schniefte er und ich schüttelte den Kopf. Komm, sagte ich, wir nehmen ein Taxi. Soll ich euch nicht fahren, fragte Theo, der die Lage gleich erkannt hatte. Ach lass, sagte ich, dass wird jetzt kein Vergnügen.

Gib mir wenigstens deine Nummer, sagte Theo und ich nannte sie ihm, weil ich ihn wirklich mochte. Aber, die schöne, geheimnisvolle Stimmung des Abends war vorbei und wer weiß, ob wir sie wieder heraufbeschwören könnten, bei einem nächsten Treffen.

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