Mittwoch, 13. Juli 2011

Ein Tag mit der besten Freundin

Ein Samstag in Aschaffenburg bei meiner Freundin kommt mir wie ein kleiner Urlaub vor. Die Fahrt durch die Mainauen in den Süden. Irgendwo zwischen Kahl und Dettingen passiere ich die bayerische Grenze. So ein Tag bedeutet Unbeschwertheit. Wir sind nur für uns - die Männer müssen aus diesem Tag draußen bleiben.

Sie holt mich von der Bahn ab und wir laufen die Frohsinnstraße hinunter, schon dieser Name empfängt einen mit Heiterkeit. Sie will Schuhe kaufen und wir stürmen ein paar Läden. Ganz unbeschwert probieren wir Paare an, sie große, ich kleine, sie 40, ich 36. Niemand kann uns bremsen. Niemand sagt, aber so ähnliche hast Du doch schon. Nur Frauen sind imstande, diese kleinen Unterschiede, die eben ein bestimmtes Paar einzigartig machen, zu erkennen, ja zu empfinden. Aber, wenn wir sie dann tragen, wird jeder Mann bemerken, dass dies ein ganz besonderes Paar Schuhe ist - und sie bewundern.

Wir machen Beute. Sie goldene, ich rote. Stimmt, ich habe schon ein Paar rote, aber ganz flache, diese hier mit den Riemchen sehen wie Tanzschuhe aus, wie Flamencoschuhe. Und ihre sehen aus wie ja, sie sehen so aus wie die Goldlameeschuhe, die die kleine Französin in Marguerite Duras Roman "Der Liebhaber" auf der Fähre trug. Auf der Fähre, auf der der Liebhaber auf sie aufmerksam wurde. Jedenfalls habe ich mir diese Schuhe immer so vorgestellt.

Die Beute muss gefeiert werden - und das tut man am besten in einem Kaffeehaus. Wir beschließen, die neuen Schuhe zum Feiern schon anzuziehen und wechseln sie heimlich in einer Seitengasse. Das ist leicht, denn die Sonne scheint und wir können sie unbeschwert über unsere nackten Füße streifen.

Dann lenken wir unsere eleganten Schritte zum Café Hensch, einem Haus mit Tradition in Aschaffenburg, mit Tradition ja, mit Schönheit weniger. Jedenfalls hatte meine Freundin das so gesagt.

Wir nehmen draußen Platz an kariertbedeckten Tischchen und bestellen Apérol Spritz - wie die Sonne leuchtet das Getränk im Glas, erzählt vom Süden, vom Süden südlich der Alpen. An so einem Tag können wir davon träumen, in Bozen auf einer Piazza zu sitzen. Das Idyll stört höchstens das rote Schild vom Weltbild-Verlag.

Kariert

Wir schlagen die Beine übereinander, betrachten unsere Füße und prosten uns zu. Am Nebentisch wird ein überaus dickes Stück irgendeiner sündigen Torte verspeist. Kurz entschlossen gehe ich in das Café hinein, schnell bei den Damen zu verschwinden und einmal nach der Torte zu sehen. Der Innenraum erstaunt mich. Er ist gar nicht hässlich. Im Gegenteil. Vielleicht eher nüchtern. Aber im Moment hängen dort sehr große Porträtfotos in schwarzweiß. Nicht immer schmeichelhaft, eher mit harten Linien, aber sehr schön. Insgeheim wünsche ich mir, auch einmal so fotografiert zu werden, in ein paar Jahren vielleicht, wenn ich mich selbst an meine harten Linien gewöhnt habe.

Cafe-Hensch

Auf dem Rückweg bestelle ich zwei Stücke der sündigen Torte und setze mich wieder zu meiner Freundin. Sie freut sich, dass mir das Café so gut gefällt, denn ihr gefällt es eigentlich auch, gerade wegen seiner Sprödigkeit. Dann kommt die Torte. Wir lassen uns Bisschen für Bisschen im Munde zergehen. Und keiner fragt: Muss das jetzt sein?

Sotto Voce

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