Freitag, 25. Juni 2010

Nächtliches Hanoi

Mein Zimmer ist freundlich und bietet Platz. Auch einen kleinen Schreibtisch und Internetanschluss. Nachdem ich ein paar Kleider, die verkrumpeln könnten, aus dem Koffer genommen habe, setze ich mich hin, klappe mein Laptop auf, schreibe eine E-Mail an meine Eltern und versuche, die ersten Eindrücke festzuhalten. Die Zeilen verschwimmen. Eigentlich ist es früher Nachmittag, aber ich weiß nicht genau, was es eigentlich ist. Mein Körper sagt Abend und müde. Ich wage noch einen Blick aus dem Fenster hoch über dem Gewimmel, dann gehorche ich dem Diktat meines Körpers und lege mich aufs Bett. Die Geräusche der Straßen tragen mich davon in einen mühelosen Dämmerschlaf. So halten es wohl die meisten Vietnamesen um diese unbarmherzig milchigschwere Nachmittagszeit.

Als ich erwache, ist es bereits nachtschwarz. Ich schrecke ein wenig hoch, bei dem Gedanken, dass es vielleicht schon zu spät für ein Abendessen sein könnte. Mein iPhone, einzig verlässlicher Zeitmesser, sagt sieben. Das beruhigt mich. Ich nehme im Badezimmer eine Dusche und ziehe meinen lila Rock und ein fliederfarbenes Top an. Das sieht ein bisschen nach Zwanziger Jahre aus, erinnert mich an Marguerite Duras Heldin aus dem "Liebhaber" und ich gefalle mir in dieser, meiner eigenen Vorstellung der Schriftstellerin, auf deren Spuren ich hier wandeln werde. Nicht allein auf den Spuren von Orts- und Straßennamen. Nein, ich hoffe etwas aufzufangen von dem sinnlichen Erlebnis Vietnams.

Ich werfe mein helles Fransenlederbeutelchen um und gleite hinaus in die Nacht. Es fühlt sich wahrhaftig an wie gleiten, denn diese Abendluft scheint dick von Feuchtigkeit und Schwärze, vom Tosen der Mopeds und vom Gleißen der Lichter.

Die Straße sieht anders aus als am Tag, hat sich in ein pulsierendes Marktgeschehen verwandelt. Der Gehsteig ist eine einzige große Ladenfläche voller Sandalen, Ölbilder und perlenbestickten Täschchen, dazwischen immer wieder kleine Schankstuben mit roten Miniplastikhockern, auf denen große Weiße unbequem, aber amüsiert Platz nehmen. Ich lasse mich führen von meinen Augen, starre alles an, staunend über die Buntheit und dieses ganze Durcheinander, das doch irgendeiner fremden Ordnung zu gehorchen scheint. Oft muss ich springen, weil ein Moped vorbeifährt, mich fast berührt oder weghupt.

Nachtmarkt-in-HanoiNach einer Weile entdecke ich einen schönen, hohen Gastraum mit großen Ventilatoren an der Decke und der Aufschrift Câ-phé über der Tür. Ein Treffpunkt für Globetrotter aus aller Welt. Ein wenig touristisch, aber schön. Ich bestelle gedünstetes Rindfleisch mit Reisnudeln und genieße mein erstes vietnamesisches Mahl. Am Tisch gegenüber sortiert ein hochgewachsener Weißer mit dunkelblondem Haar den Koriander aus seiner Frühlingsrolle. Ca-Phe

Freitag, 18. Juni 2010

Alles im Fluss

Die Luft ist voller Tröpfchen, regenschwer. Ich folge meinem Fahrer zu einem mintgrünen Wagen. Mintgrün scheint die Farbe Vietnams, sie taucht immer wieder auf, an Autos, Stoffen und Wänden, wie eine Spiegelung des frischen Grüns der Vegetation. In der Straße der Schuhmacher Wir fahren durch zersiedelte Vorstädte, vorbei an hohen, schmalen Häusern im Neo-Barockstil, pink und mintgrün. Neben uns knattern Mopeds, Mopeds beladen mit Drahtgestellen voller brauner Hühner, voller kleiner Schweine, sie stellen sich tot.

Der Fahrer fährt tief hinein in die Stadt, immer schmaler werden die Straßen, immer schmaler auch die Häuser. Schließlich setzt er mich an einem Eckhaus ab. Das ist mein Hotel für die nächsten Tage. Es steht unerschrocken mitten im Altstadtgewimmel. Es wimmeln Frauen mit Reisstrohhüten, eine Stange über der Schulter und daran Körbe, gefüllt mit dunkelgrünen Orangen, neben Flipflop-Verkäufern - und Mopeds. Ich muss zuerst mal runter vom Bordstein mit meinem Koffer. Alles muss im Fluss bleiben, sonst funktioniert das Gewimmel nicht. Erste Lektion für die wuseligen Innenstädte von Vietnam.

Ich betrete das kleine, gläserne Foyer des Hotels und melde mich am Counter an. Große Freude in den Augen der kleinen, zierlichen Rezeptionistin. Sie nickt bei meinem Namen, nennt mich Frau Ingrid, weil sie glaubt, dass das mein Nachname sei, gibt mir den Schlüssel für mein Zimmer im siebten Stock und weist mir mit dem Kopf den Aufzug. Mein Koffer wandert indessen voraus, auf dem Kopf eines behänden, kleinen Mannes, der flugs die Stufen nimmt und mich als träges, schwerfälliges Wesen stehen lässt. Am Aufzug hängt ein kleines Schild, das auf einen Defekt verweist. Ich blicke zurück zum Counter. Die zierliche Rezeptionistin zuckt die Schultern und lächelt verschmitzt, ja, sie kichert fast bei der Vorstellung, dass ich nun die vielen, steilen Stufen in den siebten Stock nehmen muss, was bestimmt meine sowieso schon rötliche Gesichtsfarbe noch verstärken wird. Ich muss lachen über diese kindliche Schadenfreude und lerne die zweite Lektion für Vietnam: Nimm's mit Humor, wenn die Dinge nicht funktionieren - es könnte schlimmer kommen.

Sonntag, 7. März 2010

Vor der Abreise

Ich sehe mir noch einmal diesen Film an. Der Liebhaber. Um mich einzustimmen - und vielleicht, um etwas über mich selbst zu erfahren. Darüber, was mich so anzieht, an diesem Land Vietnam, an seinen Städten, an Saigon. Ich sehe mir diesen Film an, der ein wenig zu schön ist.

Dennoch sind meine Augen auf der Jagd nach Orten, die ich mir einverleibe, um sie in mir zu haben. Eine alte Brücke, die nach Cholon führt, ins Chinesenviertel. Der Verfall, das Abblättern von Putz, die wuchernden Grünpflanzen - fast scheinen die Gebäude verwachsen mit dem Grün. Eine enge Straße, von baufälligen Häusern gesäumt, mattgelbe Wände, Staub, Menschen, die alles verkaufen, Baumwollhemden und lebende Enten, Bananenstauden und seltsam stachelige, purpurne Früchte, Gestank von gebratenem Fisch und Mopeds, Getöse, Hupen, Entengeschnatter - und diese Hitze über allem, die einem die Schweißperlen auf die Oberlippe treibt. Eine Art Erotik strahlt das aus, bevor noch die Handlung richtig beginnt, eine Art Erotik der Orte.

Es ist eine Szenerie, wie sie es bei uns nicht gibt. Unsere Städte erscheinen aufgeräumt, glatt und sauber - tot vielleicht an manchen kalten, klaren Tagen.

Ist es also das, was mich dorthin zieht? Eine Sehnsucht, mich ins Leben zu stürzen, mit aller Kraft, mit einer gewissen Rücksichtslosigkeit mir selbst gegenüber?

Samstag, 6. März 2010

Womit alles begann

Das vietnamesische Konsulat befindet sich nicht hinter einer dieser schönen Westendfassaden. Ein Bau ohne Schnörkel in fahlem Gelb. Der frisch gefallene Schnee lässt es noch fahler erscheinen. Allein die rote Flagge im Vorhof gibt einen Hinweis auf seinen Zweck.

Das Treppenhaus mit seiner geschwungenen Holztreppe verrät allerdings, dass die Fassade nach dem Krieg nur lieblos hochgezogen wurde, wie so viele in Frankfurt. Ich betrete den Vorraum der Visastelle. Hier diskutieren drei junge Vietnamesen. Alle drei tragen sie dickes, schwarzes Igelhaar, kurze Jacketts und Jeans. Ich wende mich in den linken Raum, wo zwei Schalter sind. Eine junge, zierliche Frau nimmt meinen Abholschein entgegen und verschwindet damit in dem alten Treppenhaus.

Ich stütze meinen Ellbogen auf, bleibe am Schalter stehen. Gerade erst bemerke ich einen hochgewachsenen Mann, mit offenem Blick aus grauen Augen, grau oder blau und dunkelblondem halblangem Haar, leicht schütter auf dem Scheitel. Das übt in Geduld, sagt er zu mir. Meinen Zettel habe ich schon vor zwanzig Minuten abgegeben.

Aha, antworte ich halblaut und stelle mich zu ihm ans Fenster. Wir sehen hinaus. Und die braucht man dort wohl, antworte ich fragend. Er zuckt die Schultern, nickt. Draußen winkt uns eine Frau in rotem Hut und rotem Mantel. Der Mann öffnet das Fenster. Ist das das das bosnische Konsulat, ruft sie. Wir schütteln die Köpfe. Mendelssohnstraße, ruft sie wieder. Wir schütteln die Köpfe. Das ist Siesmayerstraße, antworte ich. Sie müssen auf die andere Seite. Sie nickt, dankt uns und verschwindet.

Der Mann schließt das Fenster. Kurz darauf hören wir wieder Türenschlagen im ersten Stock, Schritte treppab und schließlich kommt die junge Frau und setzt sich wieder an den Schalter. Der Mann und ich gehen nach vorne. Er macht eine Geste, mich vorzulassen und die Vietnamesin händigt mir meinen Reisepass aus. Ich danke und kontrolliere das Visum. Das dritte nun. Weiter vorn sind die Visa für Kambodscha und Indien eingeklebt. Ich kann es kaum fassen, dass diese langersehnte Reise nun unmittelbar vor mir liegt.

Der Mann hat ebenfalls sein Visum erhalten. Wir verlassen gemeinsam das Haus. Was ist ihre erste Station? fragt der Mann. Hanoi, antworte ich. Eine schöne Reise, fügt er hinzu und überholt mich im Gehen. Wenig später ist er nicht mehr zu sehen.

Sotto Voce

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